Oboenrohrbau - Zufallssache?


Es wurden schon viele Artikel und Bücher über Oboenrohrbau geschrieben. Auch bei jedem Zusammentreffen von mehreren Oboisten wird immer fleißig diskutiert, immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, Tips oder guten Holzquellen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß im Profioboenbereich letztlich doch jeder auf sein eigenes, selbstgebautes Rohr mit dem für ihn speziellen Parametern angewiesen ist. Ich habe nach dem Oboenstudium ein für mich gut funktionierendes Rohrbausystem entwickelt, das seit dem zuverlässig funktioniert. Dies möchte ich hier vorstellen.

Dieser Artikel erklärt nicht den Oboenrohrbau an sich. Ich setzte die Kenntnis sämtlicher Rohrbauschritte voraus; vom Hobeln bis zum fertigen Rohr.



Rohrbaugrundlagen => Rohrbau für Oboe; deutsche Methode

Die subjektive (auf den Spieler und sein Instrument angepaßte) Qualität eines fertigen Oboenrohres hängt von folgenden Faktoren ab. Dies sind Faktoren über die ständig diskutiert wird und die auch bei den meisten Oboisten dauernd verändert werden.


-Holzqualität
-Durchmesser der Stangen
-Aushobelstärke
-Stärkeverhältnis des ausgehobelten Holzes zwischen Mitte und den Seiten
-Facon
-Hülsenlänge
-Hülsenform
-Länge der Puppe
-Länge des abgeschnittenen Rohres
-Bahnlänge
-Form der geschabten Bahn

Diese Liste läßt sich sicher noch detaillieren, aber im großen und ganzen sind das für mich die wichtigsten Faktoren, deren Veränderung auch positive oder negative Veränderungen am Rohr ergeben.

Wenn man dies nun mathematisch betrachtet und zugrundelegt, daß jeder dieser einzelnen Faktoren nur eine Veränderungsmöglichkeit hätte kämen wir bereits auf 2047 verschiedeneRohrtypen. Da es aber bekanntermaßen bei allen Faktoren unterschiedlich viele Möglichkeiten gibt erhöht sich dieser Wert um ein Vielfaches. Ich bin kein Mathematiker sondern möchte nur verdeutlichen, wie viele verschiedene Rohrtypen es geben kann.

Nun zurück zu diesen Faktoren. Nur einen dieser Faktoren können wir nicht selbst beeinflussen. Der erste: Holzqualität. Natürlich wird auch hierüber gefachsimpelt und jeder hat seine eigenen Methoden um für Ihn gutes Holz zu finden. Letztlich bleibt es aber doch ein Glücksspiel dessen Chancen man durch Auswählen des Holzes allerhöchstens günstig beeinflussen kann. Alle anderen Faktoren können durch sorgfältiges Messen und gute Handarbeit (auch gutes Werkzeug ist wichtig) vom Rohrbauer eindeutig beeinflußt werden. Ich habe festgestellt, daß diejenigen Oboisten, die angeben, Probleme mit dem Rohrbau zu haben, sehr wenig darüber wissen, wie sie eigentlich dieses Rohr gebaut haben ( Maße ). Auch sieht oft jedes anders aus und es wird oft an einzelnen Rohren fieberhaft gearbeitet bis es irgendwie geht. Dies ist meiner Meinung nach nicht der richtige Weg.

Zuerst muß man über einen bestimmten Zeitraum hinweg die genaue Bauart für sein persönliches Rohr bestimmen. Dies kann sehr schnell gehen oder aber auch viele Monate dauern.

Ich habe eine Liste angefertigt, in der alle oben aufgeführten Faktoren erscheinen und von mir peinlich genau aufgeführt werden. Wichtig ist in jedem Fall keine einzelnen Rohre zu bauen sondern Serien von mindestens 10, besser 20 Rohren. Dies ist nötig um den Faktor Holzqualität einigermaßen auszuschließen. Die erste Serie wird also in einer dem Spieler am naheliegendsten Weise gebaut. Wichtig ist, daß jedes Rohr gleich gebaut wird. Nur eine Hülsensorte, Hobelstärke, Längen usw. Dazu müssen natürlich geeignete Meßgeräte wie Messuhr, hochqualitative Schublehre (auf 1/10 mm genau) und gutes Werkzeug wie hochpräzise Innenobelmaschine und möglichst auch eine gute Außenhobelmaschine vorhanden sein.

Wie gesagt, hier ist kein Platz für die Vorgehensweise beim Rohrbau, möchte aber doch einen Tip einschieben. Es ergibt sich ja immer die Frage, wie weit stecke ich die Facon mit der Drahtzwinge auf den heißen Dorn. Der Dorn ist ja konisch und je weiter man die Facon aufschiebt, desto größer wird der Durchmesser an der Zwinge. Schiebt man das Holz dann auf die Hülse, ist der Durchmesser mal zu groß, mal zu klein. Auch dies sollte man nicht dem Zufall überlassen sondern eine weitere Messung durchführen. Ich habe einmalig den flachen Durchmesser meiner oval geformten Hülsenspitze mit der Schublehre abgegriffen. Mit dieser Einstellung suche ich die Stelle am Dorn die dieser Weite entspricht. Der Dorn sollte allerdings genau zur Hülse passen, am besten von dem selben Hersteller stammen. Diese Stelle halte ich mit dem Fingernagel fest und messe dann vom Dorngriff bis zu dieser markierten Stelle. Diesen Abstand notiere ich und weis so in Zukunft immer genau, welche Stelle des Dornes den Außenmaßen der Hülse entspricht. Daraus ergeben sich auch immer identische Taillen die ja auch die Rohrqualität beeinflussen.


So, nun hat man also seine Serie aufgebundener Rohre. Es ist günstig, sie mindestens eine Woche liegen zu lassen, damit sie sich von dem Einweichen erholen können. Dann werden alle Rohre auf ein bestimmtes Grundmaß geschabt, soweit, daß man einigermaßen vernünftig spielen kann. Darf aber ruhig noch schwer sein. Auf keinen Fall an einem einzelnen Rohr das einem sympathisch vorkommt weiter basteln. Einer meiner Lehrer schuf den Spruch: Baue nie eine persönliche Beziehung zu einem Oboenrohr auf! Erst die ganze Serie fertig schaben. Dann wieder ein paar Stunden liegen lassen und dann ans Aussortieren gehen. Wegen des Faktors Holzqualität sind ja nicht alle gleich; klar. Nun eine Vorauswahl treffen nach 1.Wahl = geht schon sehr gut, 2.Wahl = noch sehr schwer, könnte aber was werden und 3.Wahl = klingt wie eine Kreissäge und ist wahrscheinlich viel zu weiches Holz.

Die erste Wahl ( und eigentlich ist da immer was dabei, ansonsten ist einer der Faktoren oder die Holzqualität völlig daneben ) schabe ich endgültig fertig und blase sie ein. Es sollten schon einige Rohre der Serie zuverlässig gehen. Nun kann man feststellen, wo es noch Probleme gibt. Vielleicht sind alle Rohre zu hoch oder zu tief (Hülsenlänge) oder es gibt Probleme mit einzelnen Tönen wie c’’ oder g’’ (Hülsenform, Seitenstärke usw.) Hat man ein Problem durchgängig erkannt, notiert man dies auf seiner Liste ( also auch Felder für Datum und Bemerkungen erstellen ) und überlegt, welchen Faktor man bei der nächsten Serie ändern könnte um das Problem abzustellen. Wichtig!!! Nur einen Faktor verändern sonst bekommt man kein zuverlässiges
Ergebnis, ob diese Änderung dauerhaft Wirkung gezeigt hat. Nun also auf zur nächsten Serie.

Mit Hilfe der Liste und diesem Verfahren nähert man sich also seinem idealen Rohrbau. Normalerweise entstehen dabei ja auch schon spielbare Rohre die man im Dienst verwenden kann. Klar ist; das macht erstmal Arbeit. Diese Arbeit lohnt sich aber sehr. Hat man seine Version gefunden und bleibt man bei seinem Instrument gibt es nun in Zukunft nicht mehr viel
nachzudenken. Es werden nur noch Serien (immer Serien bauen) der gleichen Art gebaut. Wenn man damit zufrieden ist gibt es keinen Grund, wieder ständige Veränderungen vorzunehmen. "Hier, probier doch mal diese Hülse, mach mal dies und das, ich mache das so usw." hören wir von Kollegen und man sollte diesem widerstehen.

Ich habe meine Maße meiner Rohrbaufaktoren gefunden und sitze höchstens zwei bis dreimal im Jahr und baue jeweils eine Serie von 20 Rohren. Die erste Wahl nehme ich zuerst, die anderen Rohre bleiben rohgeschabt in der Schachtel. Wenn sich abzeichnet, daß ich neue Rohre brauche nehme ich die nächsten der Reihenfolge und schabe sie fertig. Geht die Serie zuende sollte man sich spätestens dranmachen eine neue Serie aufzubinden. So gerät man nicht in Rohrbaudruck. Ich brauche nicht weiter auszuführen, daß Rohrbauen unter Druck nicht besonders angenehm ist. Es gilt der Grundsatz: Rohre bauen wenn man noch gar keine braucht.

Ich suche mir ein paar freie Stunden, Tasse Tee oder Kaffee daneben und etwas Berieselung durch Radio CD oder Fernsehen daneben um die doch recht stupide Rohrbauerei etwas kurzweiliger zu gestalten. Jedes Mal freue ich mich wieder wenn dann die 20 blitzsauberen Rohre aufgebunden nebeneinander in der Schachtel liegen. Dort bleiben sie erst mal eine Zeit.

Ich habe ja noch Rohre...

Abschließend noch der Hinweis, daß mir klar ist, daß in diesem Artikel nicht genau ausgeführt ist, wie sich die einzelnen Faktoren exakt auf bestimmte Dinge auswirken. Dies gibt nun Raum für anschließende Diskussion und Berichte zum Thema Rohrbau. Über Reaktionen, Hinweise usw. würde ich mich sehr freuen. Unten gibt’s Kommunikationsadressen:

Ich wünsche viel Spaß beim Rohrbau (Glück brauchen wir nur noch bedingt) und hoffe, daß der eine oder andere für sich etwas positives aus meinem Artikel ziehen kann.

Hannover, 21.Juni 1997

Copyright 1997 Christian Lombardi